Berliner Morgenpost - 27. Dezember 1999

Fernsehen als Puff: Francis Schiller rechnet mit der TV-Branche ab

Max Hausmann, Redakteur der Unfallopfer-Show «Happy End», ist desillusioniert. Was mal ein Traumjob war, entpuppt sich hinter den Kulissen des schillernden Mattscheibenbetriebs als endloser Albtraum. Ein Höllentrip, der die Psyche massakriert und die Nerven ruiniert.

Mit gerade mal 26 Jahren gilt Max als Splatterman der Produktion. Immer bereit für ein paar besonders drastische Fälle, die man mit roter Farbe zum Horrordrama stilisieren kann. Nicht eben leicht in einer Zeit, in der es «leider kaum noch richtige Unfälle gibt, bei all den Airbags, Rauchmeldern und Fahrradhelmen». Wird dennoch einer entdeckt, rückt gleich ein geiferndes Team an, angetrieben von der Quote und der stahlharten Hand der Chefin.

Mag ein behandelnder Arzt auch toben: «Da platzt einem die Aorta, und eine halbe Stunde später ruft schon das Fernsehen an! Das kann doch alles nicht wahr sein!» Kann es doch. Hauptsache, der Schwerverletzte überlebt den Dreh. Hier wird zynisch auf Gefühle gesetzt, sie lassen sich am besten vermarkten. Fernsehen als Puff, die Mitarbeiter als Prostituierte. Francis Schiller wirft in seinem Debütroman einen ernüchternden Blick aufs «Fernsehland».

Was wie eine überzogene Parodie auf den TV-Alltag anmutet, entpuppt sich als herbe Wirklichkeit, denn Schiller kennt die Szene aus eigener Erfahrung. Der Kommunikationswissenschaftler, Soziologe und Betriebswirtschaftler war Redakteur der Sendung «Notruf» beim Kölner Produktionsriesen Endemol Entertainment. Das Erscheinen seines Romans kratzte jedoch an seinem Status. Man wollte ihn zu einem anderen, weniger etablierten Format abschieben. Da nahm er seinen Hut. Zwar wurde seine Abrechnung mit der Branche im Haus Endemol nicht thematisiert, doch man kann getrost einen Zusammenhang zwischen Kündigung und Buch sehen.

Schiller steht dennoch zu seinem Roman. Ihm war und ist es wichtig, dem Fernsehen etwas von der Anziehungskraft zu nehmen, die es vor allem auf junge Leute ausübt: «Mit den großen Eitelkeiten der Stars hat die Basisarbeit des Fußvolks wenig zu tun. Vielmehr ist es eine entmenschlichte Branche, die Menschen aufreibt und sie ins Verderben rennen lässt.» Obwohl und weil er das Metier liebt, habe er das Buch geschrieben, ein Extrakt aus nächtlichen Kollegengesprächen an Hotelbars und dem eigenen, in der Weite der TV-Landschaft verlorenen Ich.

Der 31-jährige Kölner empfiehlt allzu Enthusiastischen, sich die Berufswahl gut zu überlegen. Sonst könnten sie eines Tages so ausgebrannt enden wie Max Hausmann. Ihm hat der Job den letzten Rest des Privatlebens aufgefressen. Mit der Freundin läuft es nicht mehr, mit dem besten Kumpel reicht es gerade mal für ein Besäufnis. Kokain und Alkohol geben den vermeintlich festen Halt, um den militärischen Kommando-Ton der Vorgesetzten und die an die physische Substanz gehenden Fließbanddrehs zu überstehen.

Rotzig, frech, atemlos und tragikomisch schildert Schiller den Aufstieg und Fall seines Protagonisten. Der Leser spürt ein regelrechtes körperliches Unbehangen beim Ergründen dieses gehetzten Häuflein Elends. Zum Schluss kippt der Roman ins Groteske. An Leben und Arbeit gescheitert, entführt Hausmann, mit Drogen vollgepumpt, den Moderator von «Happy End», «Häuptling Silberlocke». Einmal nur will er der Star auf allen Kanälen sein.

Spätestens hier gelangt der Leser zur bitteren Erkenntnis: Fernsehland ist abgebrannt. Helfen kann da nur noch die Rückkehr in die schnöde Realität. boro

Francis Schiller: «Fernsehland. Eine fast wahre Geschichte». Roman. Rogner & Bernhard, Zweitausendeins 1999. 176 S., 20 DM.